Unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Ein alter Vertrag macht's möglich: Private Schiedsgerichte sprechen Energiemultis milliardenschwere Entschädigungen für entgangene Profite aus der Nutzung fossiler Brennstoffe zu. Klimaschutzziele werden ausgehebelt, der Steuerzahler zahlt die Rechnung.

Der Energiecharta-Vertrag (Energy Charter Treaty) ist ein kaum bekanntes Investitionsschutzabkommen und ein Beispiel dafür, welche Stolpersteine auf dem Weg in eine klimafreundliche Welt liegen. Dem 1994 unterzeichneten Vertrag gehören derzeit 53 Vertragsparteien an, darunter fast alle europäischen Staaten, wie auch die EU selbst – und natürlich Deutschland. Nach Berechnungen von Investigate Europe schützt die Energiecharta fossile Strukturen in der EU, Großbritannien und der Schweiz im Wert von rund 350 Milliarden Euro.

Nach dem Ende der Sowjetunion wollten die Staaten Rechtssicherheit für Konzerne schaffen, die in den Postsowjetländern investieren wollten. Da sie den Rechtssystemen vor Ort nicht trauten, übertrugen sie über die Energiecharta Streitschlichtungen an Schiedsgerichte. Heute nutzen Energiekonzerne den Vertrag, um Staaten auf Entschädigungen zu verklagen, wenn diese Gesetze beschließen, um aus Kohle, Öl oder Gas auszusteigen.

Die Klagen vor den privaten Schiedsgerichten finden weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Schiedssprüche können von Staaten kaum angefochten werden. Und: Artikel 47 des Vertrags sieht vor, dass ein Staat noch 20 Jahre lang verklagt werden kann, nachdem er die Charta verlassen hat – Experten sprechen vom „Sonnenuntergangsartikel“.

  • Deutschland ist konfrontiert mit einer Klage des Energiekonzerns Vattenfall wegen des Atomausstiegs, der Streitwert soll bei 4,7 Milliarden Euro liegen. Allein die Verfahrenskosten gehen in die Millionen.
  • Der deutsche Energiekonzern RWE fordert von den Niederlanden 1,4 Milliarden Euro. Unser Nachbarland verbietet ab 2030 die Kohleverbrennung, RWE muss dann ein Kohlekraftwerk stilllegen.
  • Die britische Ölfirma Rockhopper verklagt Italien auf eine Entschädigung von rund 225 Millionen Euro (das Siebenfache der Summe, die Rockhopper investiert hatte), wegen des Verbots der Ölförderung an den Küsten.
  • Im bisher größten Energiecharta-Fall ging es um den russischen Erdölgiganten Yukos. Aktionäre klagten vor dem Schiedsgericht in Den Haag, das Russland zu 37,2 Milliarden Euro Schadenersatz verurteilte.
  • Auch der Energiekonzern Gazprom rief ein Schiedsgericht gegen die EU an, wegen der Gasleitung Nord Stream 2.
  • Der britische Energiekonzern Ascent Resources klagt gegen Slowenien, weil das Land eine Umweltverträglichkeitsprüfung verlangt, bevor mit der Erdgasexploration durch Fracking begonnen werden kann.

Die EU-Kommission hat den Vorschlag gemacht, künftige Investitionen in Erdöl, Kohle und Gas weitgehend aus dem Vertrag heraus zu nehmen. Investitionen in erneuerbare Energien oder in Wasserstoff-Technologie sollen geschützt bleiben. Doch die EU ist nicht der einzige Akteur. Erdöl exportierende Staaten (z.B. Turkmenistan, Kasachstan aber auch Japan und Großbritannien) stehen dem entgegen. Und der Vertrag kann nur einstimmig geändert werden.

Die Energiewende kann nur gelingen, wenn die Ausbeutung und Nutzung fossiler Brennstoffe schnellstens gestoppt wird. Sollten sich Energiekonzerne weiter auf die Charta berufen, würde der Klimaschutz ausgebremst und Staaten (und damit der Steuerzahler) würden viele Milliarden Euro verlieren.

Fazit: Raus aus der alten, rückwärts gerichteten Energiecharta und eine massive Stärkung des Ausbaus dezentraler erneuerbarer Energien in Bürgerhand vorantreiben. Das ist die Zukunftsaufgabe für verantwortungsvolle Politik, die Menschen sind dafür und werden es weiter unterstützen.